Home  
 
   
Der folgende Text ist eine weitere Leseprobe unseres Buchprojektes Zen-Notizen. Wir suchen Autoren, die uns ähnliche Texte oder Texte mit deutlichen Bezügen zum Zen-Buddhismus zur Veröffentlichung in einem Sammelband mehrerer Autoren anbieten können.
Amsterdam


Mein erstes Auto war knallrot und meine erste Freundin war strahlend blond. Beide gaben mir das unermessliche Gefühl frei zu sein. Und Freiheit will gelebt sein. Wir beschlossen eines Tages eine kleine Reise zu machen. Nur so übers Wochenende. Wir waren jung und die Welt stand uns offen. Wenn man soviel Auswahl hat, fällt die Wahl schwer.
Wir hörten von einem japanischen Zen-Meister, der irgendwo in Amsterdam einen Vortrag halten sollte. Das klang gut in unseren Ohren. Zwar hatten wir noch nie etwas von diesem Meister gehört, ja eigentlich hatten wir auch noch nie etwas über Zen gehört, aber dafür schon viel über Amsterdam. Diese Stadt, wo Musiker auf der Straße spielten und wo der Duft von schwarzem Shag über den Grachten hing. Dort wo die Liberalität die Freiheit küsste, dort mußten wir unbedingt mal hin. Wäre der Meister nach Castrop-Rauxel gekommen, wären wir wahrscheinlich nicht hingefahren.
Von Köln aus ist Amsterdam nicht allzu weit weg und doch weit genug um aufregend zu sein. Wir tauschten Geld, Deutsche Mark gegen holländische Gulden, und bestaunten die fremde Königin, die jedem Geldstück eine besondere Wichtigkeit verlieh. Von meinen Vater hatte ich eine alte Straßenkarte mit den Beneluxländern drauf. Die günstigste Route, die wir uns aussuchten, führte über Venlo und Uitrecht nach Amsterdam.
Wir nahmen die Landstraße nach Mönchengladbach und freuten uns wie die Kinder, obwohl wir natürlich längst Erwachsene waren. Hinter Mönchengladbach stießen wir auf einen kleinen Grenzübergang. Die Straßen wurden schmaler, die Fahrweise gemächlicher. Da wir Urlaub hatten und Fremde waren, passten wir uns an. Wir versuchten diesen Schleichweg um Venlo herum zu finden, der auf der Karte so einfach aussah. Über ihn wollten wir zu einer Autobahn finden, die uns dann über Uitrecht nach Amsterdam führen sollte. Wir gewannen den Eindruck, dass der Holländer an sich sehr sparsam ist und sich aus uns unbekannten Gründen keine Straßenschilder leisten konnte. So orientierten wir uns nach dem Stand der Sonne, versuchten Venlo links liegen zu lassen, und wußten mit der unerschütterlichen Gewißheit der Jugend: Irgendwo da hinten erwartet uns Amsterdam.
Ich fand, nach etlichen Kilometern der Verunsicherung, eine Autobahnauffahrt mit Schildern nach Venlo. Da wir dort nicht hinwollten, nahm ich die entgegengesetzte Auffahrt in der Hoffnung, sie führt in die entgegengesetzte Richtung, nach Amsterdam, oder zumindest in die Nähe. Aber es kamen keine Schilder nach Amsterdam und noch nicht mal welche nach Uitrecht. All die Namen, die uns auf blauen Schildern präsentiert wurden, sagten mir nichts und klangen für mich wie unaussprechliche Käsesorten.
In dieser Not bat ich meine Freundin die Straßenkarte meines vorausschauenden Vaters aus dem Handschuhfach zu nehmen und eine Ortsbestimmung vorzunehmen. Sie klappte sie auf und versuchte herauszufinden, wo wir eigentlich waren. Die nächste Ausfahrt nahte und ich las vor, was groß und deutlich auf dem Schild der Ausfahrt stand: „Uit! Schau doch mal nach“, sagte ich, „wo dieses ‚Uit‘ liegt.“ Sie steckte den Kopf in die Karte, las rauf und runter, rechts und links, aber sie konnte ‚Uit‘ nicht finden. Ich wollte hilfreich sein und gab ihr den Tipp, es müsse irgenwo hinter Venlo sein, von Deutschland aus gesehen. Ihr Finger rutsche zusehend nervöser über die Karte und ich riskierte einen Blick während des Fahrens. Ich stellte fest, dass ihr Finger schon in Belgien war. Konnte das sein? Müßten wir das nicht gemerkt haben? Dazwischen gab es doch sicherlich eine Grenze, oder? Mir kamen erste Zweifel an der Leichtigkeit unseres Vorhabens heute noch Amsterdam zu erreichen. Vielleicht war dieses ‘Uit‘ aber auch nur so ein kleines holländisches Nest, das auf der alten Karte meines Vaters nicht eingezeichnet war. So sprach ich mir Mut zu und wartete etwas gelassener die nächste Ausfahrt ab.
Als sie kam, war ich überrascht. Hier stand wieder ‚Uit‘. Ich hatte schon den Eindruck, wir seien einen kleinen Bogen gefahren und vielleicht war dies einfach die zweite Ausfahrt nach ‚Uit‘, halt aus einer anderen Richtung. Mein Blick suchte rechts und links den Horizont ab, ob ich irgendeinen Ort entdecken konnte, der groß genug war, um ihm zwei Autobahnausfahrten zu geben. Außer ein paar glücklichen Kühen und reglos stehenden Windmühlen konnte ich nichts entdecken. Ich bat meine Freundin „Bitte schau doch noch mal nach, wo dieses ‚Uit‘ ist. Es scheint mir doch ein größeres Städtchen zu sein.“ Sie suchte und suchte und drehte die Karte. Manchmal kann man auf dem Kopf stehend etwas besser sehen, wenn es auf normale Weise unauffindbar ist. Ich war froh, das ich fuhr und sie suchte, denn ich glaubte nicht, dass es mir besser gehen würde. Konnte es denn sein, dass die Holländer so schnell Städte bauen? Sicherlich, die Karte war schon etwas älter. Aber so alt nun auch wieder nicht.
Die dritte Ausfahrt nahte. Sie werden es mir nicht glauben. Aber da stand tatsächlich wieder ‚Uit‘ groß und deutlich auf dem Schild der Autobahnausfahrt. Ob dies ein Relikt aus dem letzten Krieg war, wo man, um die Deutschen zu verwirren, alle Hinweisschilder abmontiert hatte und nun durch gleichförmige, nichtssagende Schilder ersetzte? Ich dachte eigentlich, der Krieg sei lange vorbei. Aber vielleicht sahen die Holländer das anders und haben immer noch Angst vor den Deutschen.
Meine Freundin hatte eine wunderbare Idee. „Vielleicht ist das schon Uitrecht! Uitrecht ist groß, da gibt es bestimmt viele Abfahrten.“ Das kam mir entgegen. Zumindest schienen wir nicht zurück zur deutschen Grenze zu kommen und fuhren anscheinend immer weiter in dieses verrückte Land hinein. Das konnte so verkehrt nicht sein.
Als die vierte Ausfahrt kam, gab ich auf. Sie ahnen natürlich schon längst, was dort stand: ‚Uit‘! Wir waren nur Gäste in diesem fremden Land und hatten kein Recht ihre komischen Gewohnheiten, alle ihre Autobahnausfahrten gleich zu benennen, anzuprangern. Die Holländer hatten eine ruhige Fahrweise und fuhren nie schneller als hundert. Wahrscheinlich brauchen sie die Zeit um in Ruhe zu überlegen, wo sie gerade waren und welche Ausfahrt sie nehmen sollten. Vielleicht ist Holland aber auch so klein, dass man sich da schnell auskennt und nicht an jeder Ausfahrt ein Schild braucht um zu wissen, wo es dann dort hin geht.


Ich weiß noch, dass wir es schafften nach Amsterdam zu kommen. Wir lauschten einem Vortrag, der in unverständlichem gebrochenem Englisch gehalten und in ein ebenso unverständliches exzellentes Holländisch übersetzt wurde. Ein junger Holländer lächelte uns an und übersetzte für uns ins Deutsche: „Der Weg ist das Ziel!“ Natürlich, er kannte sich vermutlich aus auf holländischen Autobahnen. Ich war beeindruckt wie weit fortgeschritten die holländische Seele sich mit der tiefen Weißheit des Buddhismus verband und dies in der Wahl ihrer Autobahnbeschilderungen ausdrückte. Denn letztlich ist alles eins und wie könnte man dem besser Ausdruck verleihen, als durch eine einheitliche Beschilderung, die den Suchenden immer wieder das Gleiche finden läßt. Ich war tief beeindruckt von der Spiritualität der Holländer und ihrem Mut zum öffentlichen Bekenntnis.
Ich weiß bis heute nicht worüber dieser Meister ansonsten noch gesprochen hat. Ich sehe nur die ganze Zeit ganz deutlich diese blauen Schilder mit der weißen Schrift und der klaren Botschaft an mich „Uit“! Ich habe die Botschaft verstanden.
Als wir zurückfuhren, entdeckte ich plötzlich ein Schild mit der Aufschrift ‚Arnheim‘. Das war mir sehr sympathisch und ich beschloß spontan, diesen Rückweg zu wählen. Wer weiß ob es mir je gelingen würde Venlo und die deutsche Grenze zu finden.

 
Home   Home