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Unscheinbar
Ich
gehöre nicht zu den Leuten, die in irgendeiner Weise auffallen.
Auf Festen bemerkt man mich erst, wenn die Gäste sich verabschieden
und ich zu den letzten gehöre, die gehen, wenn überhaupt.
Auf meiner Arbeit fällt es kaum auf, ob ich da bin oder nicht.
Selbst meine Frau vergisst hin und wieder, dass wir verheiratet
sind. Vielleicht denken sie jetzt, dies sei für mich kränkend,
aber ich versichere ihnen, ich habe es nie als kränkend erlebt.
Ich konnte die anderen immer gut verstehen. In gewisser Weise bestätigten
sie mir damit wie gut es mir gelang in den Hintergrund zu treten.
Bei
meinem ersten Treffen mit dem Meister bot er mir Tee an. Wir saßen
eine ganze Weile schweigend zusammen und tranken Tee. Dann nickte
er mir zu, stand auf und geleitete mich zur Tür. Ich empfand
einen tiefen Frieden in der Gegenwart dieses Mannes. Als ich gerade
durch die Tür gehen wollte, sagte er doch noch etwas: Wenn
du wiederkommst, musst du mir erzählen, wie du es schaffst
so unscheinbar zu sein. Seitdem begleitet mich diese Frage:
Wie schaffe ich es nur so unscheinbar zu sein?
Ich
weiß es nicht, ich hielt es immer für das ganz natürlichste
der Welt. Ich war einfach so, immer schon. Ich brauchte nichts dafür
tun. Schon meine Mutter erzählte früher, dass sie sich
keine neuen Kleider kaufen brauchte, als sie mit mir schwanger war.
Eigentlich muss man sich gar nicht besonders anstrengen um unscheinbar
zu sein. Es genügt vollkommen, wenn man nicht herausragt und
sich durch nichts hervortut. Natürlich darf man keinen Erfolg
erwarten, oder Belobigung. Es gibt nichts zu verdienen und nichts
zu erreichen. Einfaches Dasein genügt vollkommen. Vielleicht
hat es mich deshalb in ein Kloster gezogen, denn das Leben hier
drin ist ganz anders als da draußen in der Welt. Hier drinnen
ist es nicht möglich unscheinbar zu sein, weil hier alle unscheinbar
sind. Jeder hat seinen Platz und seine Zeit, seine Arbeit und seine
Aufgaben. Jeder tut das ihm Aufgetragene ohne etwas dafür zu
erwarten. Die Mahlzeiten nehmen wir gemeinsam schweigend ein. Jeder
von uns hat seine kleinen Unterredungen mit dem Meister und es ist
vollkomen unbedeutend, ob ich als erster oder als letzter hineingehe.
Vielleicht bin ich deshalb hier, weil ich mich unter Gleichen auf
eine heimliche Art tief verbunden fühle. In diesem Kloster
geschieht den ganzen Tag lang nichts von wirklicher Bedeutung. Alle
wissen das und alle sind einverstanden.
Was
soll ich dem Meister sagen, wenn ich wieder zu ihm gehe um mit ihm
Tee zu trinken? Er wird mich natürlich wieder fragen, wie ich
es schaffe so unscheinbar zu sein. Was ich mir auch dazu überlege,
immer hat es den faden Beigeschmack einer Entschuldigung. Aber ich
habe nicht das Gefühl mich entschuldigen zu müssen.
Das tägliche Sitzen fällt mir zunehmend schwerer, seitdem
ich diese Frage des Meisters verschluckt habe. Manchmal ist es mir
schier unmöglich ruhig und gelassen dazusitzen. Eine tiefe
Unruhe ergreift mich und scheint mir das Unterste nach oben zu wenden.
Wie ist das nur möglich? In mir herrschte Ratlosigkeit. Offensichtlich
konnte mich diese Ratlosigkeit aus dem Konzept bringen. Vielleicht
war es aber auch die Gewissheit, dass mich der Meister wieder fragen
wird, und ich ihm eine Antwort schulde, die ich nicht geben kann.
Obwohl ich ihm natürlich irgendeine Antwort geben könnte.
Aber sie wäre vermutlich zu unscheinbar und unbedeutend. Ich
glaube nicht, dass der Meister damit zufrieden sein wird. Also werde
ich ihm eine bedeutende Antwort geben müssen. Doch wo soll
ich die hernehmen aus meinem unscheinbaren Leben? Ich werde heraustreten
müssen aus diesem unscheinbaren Leben und damit etwas tun müssen,
was ich noch nie gemacht habe.
Ich
ließ einige Perioden des Sitzens aus. Ich konnte es einfach
nicht mehr. Meine Gedanken rasten, meine Eingeweide brannten und
mein Kopf schien abwechselnd übervoll und vollkommen leer.
Wie schaffe ich es nur so unscheinbar zu sein? Diese banale Frage
wurde zur wichtigsten Frage in meinem Leben. Aber ich fand keine
Antwort in meinem bisherigen Leben. Die Antwort musste außerhalb
davon sein. Da musste ich hin und wusste noch nicht wie.
Der
Meister ließ mich zu sich rufen. Morgen sollte ich zu ihm
kommen. In der Nacht tat ich kein Auge zu. Die Frage wurde brennender
denn je. Ich war ein paar Tage nicht bei ihm gewesen, wohl wissend,
dass ich ihm eine Antwort schulde. Ich ging durch die Hölle.
Als ich mich in der Frühe dem Zimmer des Meisters näherte,
fühlte ich mich so unbedeutend wie noch nie in meinem Leben.
Ich fühlte mich minderwertig und mir war klar, ich werde den
Meister enttäuschen. Aber ich spürte, ich konnte es nicht
akzeptieren den Meister zu enttäuschen. Es war mir nicht egal!
Ja, es hatte eine riesige Bedeutung für mich ihn nicht zu enttäuschen.
Und plötzlich, als ich durch die Tür in das Zimmer des
Meisters trat, war mir klar:
Es gibt kein unscheinbares Leben.
Schweigend
tranken wir eine köstliche Tasse Tee zusammen.
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